Eröffnungsrede von Marko Schacher M.A. – gehalten am 22.09.05
"Pferdlesbilder" stand in der Betreffzeile der E-Mail, mit der Andreas Brenner das erste Mal Kontakt mit mir aufnahm und wegen der heutigen Eröffnungsrede an meiner virtuellen Tür anklopfte.
Diese Bezeichnung "Pferdlesbilder" löste in mir zwiespältige Gefühle aus. Ich fragte mich: Was steckt dahinter, wenn jemand sein kreatives Oeuvre als "Pferdlesbilder" beschreibt? Ironie? Distanz? Oder sogar Geringschätzung? Oder einfach nur schwäbischer Humor? Gleichzeitig wurden in meinem Hirn längst vergessen geglaubte Erinnerungen an vergangene Ferienaufenthalte auf dem Bauernhof, an erste, unbeholfene Flirt-Versuche im Stall des Böblinger Reiterhofes und an das "Wendy"-Zeitschriften-Abo meiner Schwester ausgelöst. Mich persönlich haben Pferde nie besonders interessiert oder fasziniert, allenfalls die weiblichen Wesen, die mit ihnen umzugehen mochten.

Was also bringt einen erwachsenen Menschen dazu, seit drei, vier Jahren ausschließlich Pferde zu fotografieren? Und wie sieht er aus? Und vor allem: Wie sieht es bei ihm zu Hause aus? Hängen überall Pferdeposter an der Wand? Liegen überall Pferdezeitschriften wie "Flinke Hufe, wilde Mähne" herum? Besteht die Videosammlung ausschließlich aus Filmen wie "Ferien auf dem Immenhof" und "Black Beauty"? All diese Fragen gingen mir – Klischee hin, Klischee her – im Kopf herum, als ich Andreas Brenner das erste Mal besuchte.

Zum Treffen motiviert hat mich auf der einen Seite das wohltuende Understatement, dass in seinen E-Mails zum Ausdruck kam, vor allem aber ein Blick in die aller erste Ausgabe der Kunstzeitschrift "Sonnendeck", in der – wie ich mich erinnerte – drei Fotografien von Andreas Brenner abgebildet waren. Die darin abgebildeten Fotos hatten mit herkömmlichen Pferde-Portraits wie ich sie aus "Wendy" & Co, zahlreichen Kalendern und Pferdebüchern kannte, nicht viel zu tun: Ein vom Bildrand geradezu wagemutig angeschnittener Pferdekopf bildet eine von links unten nach rechts oben angeschnittene Diagonale, die in einem riesigen Auge kulminiert. Zwei Pferde bilden Schattenrisse, die mit dem Umriss eines riesigen, die eigentliche Bildmitte dominierenden Baumes, kombiniert bzw. konfrontiert werden. Und: Vier in Bewegungsunschärfe abgebildete Hufe und Unterschenkel dominieren ein malerisches Querformat – vom Rest des Pferdes ist nichts zu sehen. Darunter steht ein Zitat des Künstlers. Es lautet: "Pferdchen und Maschinenöl, das sind zwei Dinge, die Dich den Rest der Welt vergessen lassen!"

Wie ich inzwischen erfahren habe, hat die damalige Praktikantin im Ausstellungsraum "Schapp – der Effektenraum", in dem Andreas Brenner damals ausstellte (die Bilder waren quasi Werbung für diese Ausstellung), die Exponate mit "Ja schon schön, aber da ist halt so wenig Pferd drauf" kommentiert. In der Tat scheint das Pferd in Brenners Fotografien oft an den Rand gedrängt zu sein – und trotzdem das eigentliche Thema der Fotografien zu bleiben.

Als ich dann schließlich im Innern von Andreas Brenners Wohnung stand, war ich einigermaßen beruhigt. Pferdeposter und Zeitschriften konnte ich keine erspähen, lediglich ein Pferdequartett und einen mechanischen Cowboy auf einem Blech-Pferd. Dafür eine lila Milka-Stoff-Kuh, den aufgeschlagenen "Kicker" und CDs von Fu Manchu und Billy Idol. Und trotzdem: Im Kopf des Künstlers sind die Pferde stets präsent. Andreas Brenner kennt sich in seinem Sujet aus. Wer sich mit ihm unterhält, spürt und sieht seine Faszination für die edlen Tiere.

Die erste Begegnung mit einem Pferd hatte Andreas Brenner als kleines Kind während eines Wochenendausflugs mit seinen Eltern auf dem Gestüt in Marbach (nicht zu verwechseln mit dem Schiller-Marbach am Neckar). Die Ehrfurcht, die das damalige Zusammentreffen prägte ist – wie ich finde – auch in den aktuellen Exponaten spürbar. Viele, viele Jahre später stand er an der Hand einer Frau auf einer Koppel in Filderstadt, um deren Pferd in Augenschein zu nehmen. Und er merkte: Das Glück dieser Erde liegt für ihn nicht – wie für viele Reiter – auf dem Rücken der Pferde, sondern vor den Pferden, in der Position des stillen Beobachters bzw. Bewunderers. Die Erhabenheit, die vom Pferd ausgeht, ist ihm wichtiger als eine eventuelle eigene Erhabenheit als Reiter. Auf einer Pferdemesse in Offenburg hatte Andreas Brenner dann vor zwei Jahren die erste Face-to-Face-Begegnung mit einem Vollblut-Hengst der inzwischen zur Lieblingsrasse avancierten Achal-Tekkiner, die sich laut Künstler unter anderem "serienmäßig" durch einen Metallschimmer im Fell auszeichnen. Nach einem Gespräch mit der Besitzerin und der Erkenntnis, dass das dazugehörige Gestüt auch eine "7" in der Postleitzahl hat, entschloss er sich, eine Woche später das entsprechende Gestüt in Gültlingen bei Calw zusammen mit seiner Fotokamera zu besuchen. Aus dieser Begegnung sind inzwischen viele Freundschaften zu Tieren und Menschen und sehr, sehr viele Fotografien hervor gegangen. Auch ein Resultat: Andreas Brenner ist inzwischen Adoptionsvater der 16jährigen Stute Medlischa und kommt für ihre Verpflegung und Logis auf.

Könnte Medlischa die heutige Ausstellung besuchen, würde sie zunächst vielleicht auch ein "Ja schon schön, aber da ist halt so wenig Pferd drauf" denken. Würde bzw. könnte sie sich aber auf die Bilder einlassen, würde auch sie der Faszination erliegen. Wer perfekt gestriegelte, schöne Pferde bei noch schönerem Sonnenschein in allen möglichen Varianten sehen möchte, kann der Internetseite www.pferdebilder.de einen Besuch abstatten. Doch sind die dortigen Fotos Kunstwerke? Sind das eigenständige Annäherungen an die Aura und die Fähigkeiten eines Pferds?

Andreas Brenner und ich waren am Dienstag gemeinsam bei einer Preisverleihung an Rebecca Horn im Kunstmuseum, wo die eingeladene Kunsthistorikerin deren Werke als "Hommage an die Mobilität" gepriesen hat. Ich denke auch das Postkarten-Motiv zur heutigen Ausstellung, das Sie hier in seiner realen Größe an der Wand finden, darf getrost als eine solche Hommage eingestuft werden. Die optische Schlieren hervorrufende Bewegungsunschärfe weckt nicht nur Erinnerungen an Gemälde des Impressionismus, sondern lässt auch den Protagonisten des Bildes, den Namensgeber der Ausstellung, nämlich den Hengst "Touch of Land", mit knapp 70 Stundenkilometern auf der Galopprennbahn in Iffezheim an uns vorbei galoppieren und den Boden hier im Ausstellungsraum vibrieren. Wie in den drei benachbarten Fotografien verdichten sich die ursprünglich gegenständlichen Motive zum grafischen, fast schon abstrakten Augenkitzel. Sehr reizvoll finde ich auch den Pferdewuschelkopf, der sich gar nicht mehr auseinander dividieren lässt, wo man nicht mehr weiß, wo Ohren und Schnauze sind.

Auf anderen Bildern scheint die Dynamik des Himmels eine ebenbürtige Rolle einnehmen zu dürfen. Die zwischen hell und dunkel changierenden Wolken-Schattierungen werden den Schattierungen eines Pferde-Hinterns gegenübergestellt.

Wer länger auf die Bilder schaut, bemerkt eine Hülle von Details, zum Beispiel Gänseblümchen auf der Wiese, einen vermeintlichern Sheriff-Stern am Kopf eines Jockeys oder nur wenige Millimeter über den Bildrand ragende Hausdächer, Zäune oder Begrenzungspfosten.

Manchmal verändern sich diese Details auch bei längerer Betrachtung. Ein Mercedes-Stern an der Start-Box wird zum Heiligenschein, ein überdimensional ins Bild gerückter Pferdekörper-Torso wird zu einer Landkarte, auf der Adern zu Flüssen und Narben zu Seen werden.

Dieser Detailreichtum verwundert vor allem, wenn man weiß, dass Andreas Brenner im Moment der Bildwerdung des Motivs dieses Bild gar nicht sieht. Seine riesige, kompliziert zu bedienende Großformatkamera, die Negative im Format von 4 x 5 Inch belichtet, heißt zwar "Horseman", eignet sich viel eher zum Ablichten von Landschaft und Architektur als von bewegten Motiven. Die zweite Tatsache, die im heutigen Multimediazeitalter verwundern mag, ist die Tatasche, dass der Künstler die Aufnahmen in keinster Weise digital nachbearbeitet. Nach der Aufnahme wird nichts mehr retuschiert und kein Bildausschnitt mehr verändert.

Charakteristisch für Brenners Fotografien scheinen auch die sich auf verschiedenen Achsen durchs Bild ziehenden Schärfeebenen zu sein, die der Künstler durch ein bewusstes Kippen des Objektivs bewirkt. So kommt es, dass verschiedene, ohne diese punktuellen Schärfen als nebensächlich eingestuften Partien, z.Bsp. die Nasenlöcher eines Pferdes oder ein Fenster in der Hintergrunds-Architektur buchstäblich in den Fokus gerückt werden und miteinander in einen Dialog treten.

Von der Enthierarchisierung des gewohnten Bildaufbaus, die den oder die Bild-Protagonisten aus der Bildmitte rückt und den Details am Rande eine ungewohnte Aufmerksamkeit zubilligt, war schon die Rede.

Denke ich so über all diese Beobachtungen nach, so bin ich mir ganz sicher, dass Medlischa stolz auf die individuelle Handschrift und die individuellen Blickwinkel von Andreas Brenner wäre. Ich bin jedenfalls – auch als Pferde-Nicht-Freund – sehr angetan davon – und ich hoffe, Ihnen geht es genauso.